Gestern hatte ich ein Gespräch mit einem guten Freund von mir. Wer hätte es gedacht? Das Thema war Corona. Wir hatten sehr unterschiedliche Ansichten. Es war ein Streitgespräch und doch keins. Denn wir liessen unsere ggs. Meinungen einfach mal gelten. Hörten einander zu. Jeder konnte sagen, was er dachte. Der andere wertete das nicht und unterbrach auch nicht. Und obwohl wir uns gegenseitig auch kritische Fragen stellten, so akzeptierten wir einfach des anderen Ansichten.
Das war eine erfrischende Erfahrung. Denn in der heutigen Welt ist alles so polarisiert. Menschen hängen an ihren Meinungen. Nur ihre sind richtig und alle anderen haben keine Ahnung. Psychologisch ist es klar: jeder Mensch baut seine Wirklichkeit selbst aus Zahlen, Daten, Fakten, aber auch aus Eindrücken, Meinungen anderer, und den eigenen Erfahrungen zurecht. Gerade die Statistiken, die durch die Welt geistern… Keiner weiss, welche nun wirklich richtig stimmen. «Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast» sagt ein berühmtes Sprichwort. Selbst die Wissenschaftler wissen oft nicht, was nun stimmt. Aber jeder – auch Nicht-Wissenschaftler – beansprucht für sich, Recht zu haben.
Wie wär’s mit arrangieren mit einer Ungewissheit, die es nun mal gibt? Was gestern noch richtig erschien, kann heute schon grottenfalsch sein. Wir können nicht alles wissen, weil diese Corona-Sache einfach was völlig Neues ist. Die Welt hat solch eine Pandemie seit über 100 Jahren nicht mehr erlebt und damals waren wir auch noch gar nicht so weit in unserer Medizin, Wissenschaft und dem, was wir messen und auswerten können. Viele Menschen sind der Ansicht, dass die Statistiken gefärbt und gefälscht sind. Das hörte ich auch im Gespräch mit meinem Kollegen: Regierungen präsentieren die Zahlen so, damit ihre Entscheidungen «quasi-wissenschaftlich» unterlegt sind. Politiker sind ja irgendwie auch in einem Dilemma. Sie wollen gern an der Macht bleiben und wieder gewählt werden. Also ist es essenziell, dass sie sich und ihre Entscheide in ein möglichst vorteilhaftes Licht stellen.
Ja, vielleicht ist das so. Aber vielleicht ist es aber auch ganz anders. Vielleicht haben auch die Recht, die postulieren, dass Corona erfunden ist, dass Viren nun einfach zum Leben gehören wie das Sterben. Dass wir diese Pandemie nun mal einfach durchmachen müssen, es schon gut kommt, wenn man nur sein Immunsystem stärkt. Vielleicht haben auch die Recht. Ich sage nicht, dass das richtig oder falsch ist. Ich weiss es nicht. Keiner kann es genau wissen. Jeder baut sich seine Welt, wie sie für ihn logisch ist. Und die Meinungen, wie die Gesellschaft damit umgehen sollte, gehen aus denselben psychologischen Gründen weit auseinander – auch wenn wir, mal ganz ehrlich, doch alle dasselbe wollen: wieder normal leben!
Wovon ich aber überzeugt bin, ist, dass wir von Corona sehr viel lernen können. Jeder hofft, dass das verhasste Maskentragen, das Abstand-Halten, die Einschränkungen, die gefühlte Bevormundung durch unsere Regierungen, dass das bald vorbei ist. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als endlich mal wieder meine Freunde und Freundinnen zu umarmen ohne schlechtes Gewissen. Einfach wieder Nähe zu verspüren und Zeit mit tollen Menschen verbringen.
Was uns Corona lehrt, ist mit Dingen klarzukommen, die wir nicht greifen können. Wo Fakten diffus sind und sich jeder seine eigene Wahrheit baut. Wo Freundschaften über polarisierte Meinungen zerbrechen oder schwer Schaden nehmen. Eigentlich lehrt uns dieses Corona unglaublich viel Gelassenheit.
Am Ende unseres Lebens – jeder von uns hat eine Lebenserwartung von 80-90 Jahren – wenn wir dann mal zurückblicken, werden wir sagen: Mein Gott, was waren das für 2 Jahre, die wir damals durchgemacht haben. Aber eigentlich lernen wir sehr viel a) über uns selbst und wie wir mit Dingen und Veränderungen umgehen, die wir nicht greifen oder beeinflussen können – und b) über die Welt, wie die Gemeinschaft auf sowas reagiert. Diese 2 Jahren werden uns rückblickend ruhiger gemacht haben. Wir haben uns arrangiert. Wir gehen jetzt halt mit Maske in den Bus oder den Coop. Restaurantbesitzer schliessen ihr Lokal, weil es nicht anders geht. Auch wenn sie daran zerbrechen. Der Grossteil der Bevölkerung macht die Faust im Sack, fügt sich in die Situation, in der wir stecken und sagt: ok, es ist wie es ist. Ich mache halt das Beste draus.
Das ist Gelassenheit. Wir lernen von Corona so viel darüber. Einfach sagen: ich kann es nicht ändern. Am Ende des Lebens werden es 2 Jahre gewesen sein. Von über 80! Also doch eigentlich gar nicht so viel. Und durch diese 2 Jahre wird jeder etwas gelernt haben, egal ob er es wollte oder nicht – und sei es nur das Maskentragen.
Vielleicht ist dieses Corona am Ende gar nicht so schlecht.
Unser Gespräch ging sehr schön aus. Nach einem solchen Gespräch kann man entweder so auseinander gehen, dass jeder vom anderen denkt, er sei ein Vollpfosten. Oder wir sagen: Auch wenn ich deine Meinungen und Ansichten nicht teile oder nachvollziehen kann, so respektiere ich sie vollumfänglich. Deswegen können wir trotzdem gute Freunde sein. Der andere steigt sogar noch in meiner Achtung, denn er zeigt mir, dass er auch mich mit meiner Meinung akzeptiert.
Es ist schön, wenn man diese Menschen kennt. Wir trennten uns mit dem Spruch aus meiner ursprünglichen Heimat, dem Ruhrgebiet: «Jetzt haben wir uns eine Stunde im Kreis gedreht – und der Arsch ist immer noch hinten!» Und lachten 🙂