Schreiben beflügelt

Wann haben sie das letzte Mal etwas anderes als die Einkaufliste, eine kurze Notiz für ihr Kind, das aktuelle Datum oder ihre Unterschrift mit einem Stift auf ein Blatt Papier geschrieben? Ich meine so richtige Sätze. Absätze. Gedanken in eine Abfolge niedergeschrieben.
Bevor ich mich angefangen habe, mit der Nutzung von Hirnforschung für beruflichen Erfolg auseinander zu setzen, war es sicher schon Jahrzehnte her, dass ich mehr als zwei Sätze zu Papier gebracht habe, ohne dabei den Umweg über eine Tastatur zu gehen. Hat auch damit zu tun, dass ich meine eigene Handschrift schon am nächsten Tag nicht mehr entziffern kann. Etwas mit der Hand schreiben war mir immer peinlich deswegen.
Ich schreibe das allermeiste wie Sie sicher auch mit dem Computer. Während meiner Ausbildung zum professionellen Coach wurden wir immer wieder angehalten, unsere Kunden ihre Coaching-Ziele per Hand aufschreiben zu lassen. Ein vollständiger Satz. Und nicht nur bei meinen Kunden, ebenso bei mir begann ich festzustellen, dass da oben in Kopf etwas ins Rollen kommt, wenn ich versuche, einen klar formulierten Satz in korrekter Grammatik auf ein Blatt Papier zu schreiben.
Hirnforschung bestätigt vieles, das ich bisher nur erahnt habe – und was mich veranlasst hat, einen Selbstversuch zu starten. Nämlich abends, bevor ich das Licht ausmache, einen schriftlichen Rückblick auf meinen Tag zu machen, morgens nach dem Aufwachen meine Gedanken aufzuschreiben, sowie für jeden Tag eine Absichtserklärung zu verfassen. Mit Stift. Auf Papier. Dauert nie mehr als 5-10 Minuten.
Aus der Neurowissenschaft der letzten Jahre kann nun vieles belegt werden:

  • Schreiben mit der Hand ist wie Meditieren. Es bringt uns «runter», bremst die Hektik, mit der wir konfrontiert sind, aus und zwingt uns, langsam – und sorgfältiger zu denken
  • Beim Schreiben mit der Hand werden viel mehr Hirnregionen genutzt als beim reinen «Denken» oder Tippen. Unser Arbeitsgedächtnis kommt in Schwung. Die Regionen zuständig für Sprache, Logik werden angeregt
  • Niedergeschriebenes wird viel besser im Langzeitgedächtnis abgespeichert, da es durch viel mehr Hirnregionen gereist ist. Selbst-generiertes bleibt kleben! Der schöne Nebeneffekt: Niedergeschriebenes kann man als Erinnerungsstütze an die Wand hängen
  • Menschen, die ihre Ziele handschriftlich festhalten, haben eine bis zu 40% höhere Wahrscheinlichkeit, diese auch zu erreichen
  • Schreiben stimmt uns positiv. Sorgen, die durch die Hand aufs Papier geflossen sind, sind «weg»
  • Schreiben ist wie Hirnjogging. Es ist nicht nur anstrengend für die Hand (ich bekomme regelmässig einen Krampf), sondern auch sehr anstrengend für unser Gehirn – welches dafür aber auch agiler wird
  • Menschen, die regelmässig ein Tagebuch schreiben, und darin aufschreiben, für was sie dankbar sind oder was sie selbst gut gemacht haben, sind nachweislich gelassener und glücklicher

    Mein Selbstversuch begann mit 2 Wochen und ist zur Routine geworden. Ich bemerke bei mir, dass ich im Laufe des Tages auf meine Absichtserklärung vom Morgen zurückgreife und so viel fokussierter an dem arbeite, was ich mir vorgenommen habe. Was ich auch merke ist, dass ich aufmerksamer durch die Gegend laufe, denn ich möchte abends in der Lage sein aufzuschreiben, was an dem Tag schön war und was mir Freude bereitet hat.

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