Gestern hatte ich ein Gespräch mit einer alten Arbeitskollegin. Wir kennen uns schon so lange, dass wir uns mittlerweile auch als gute Freundinnen bezeichnen würden. Sie wohnt in Deutschland, ich in der Schweiz. Corona-konform sahen wir uns online und natürlich kam das Gespräch auf Corona und die Massnahmen, die unsere Regierungen uns derzeit auferlegen. Ihre Meinung war eher strikt. Sie meinte, es wäre doch so einfach: Wir müssten uns nur alle mal wirklich radikal 2 Wochen lang zu Hause einbunkern, dann wäre der Spuk vorbei. Alle. Ausnahmslos. Ihr gingen die Massnahmen der Bundesregierung nicht weit genug.
Ich bin eher der freiheitsliebende Typ und argumentierte entsprechend liberal. Aus meiner Sicht ist so ein «Wegsperren» aller Menschen gar nicht machbar und es geht auch gegen unsere freiheitlichen Rechte. Den liberalen Ansatz der Schweiz goutiere ich sehr. Wir konnten uns nicht einigen, irgendwie erhitzten wir uns in unseren beiden Positionen. Ich bemerkte auf einmal, dass das Gespräch in eine Richtung ging, in der wir noch nie waren. Die einer Unvereinbarkeit der Meinungen. Da rennt man sich schnell fest in seiner Ecke und fängt an zu schmollen.
Wollte ich die Freundschaft in eine Krise laufen lassen, weil wir offensichtlich sehr unterschiedlicher Meinung waren? Nein. Sicher nicht! Die Gefahr besteht jedoch, wenn zwei Menschen auf einmal feststellen, dass sie sich so gar nicht einigen können. Man nimmt es persönlich.
Zum Glück fiel mir in dem Moment eine Methode aus meiner Zeit in der Unternehmensberatung ein. Trenne das Problem von der Person. «Agree to disagree» – einigt euch, euch nicht zu einigen. Tönt im ersten Moment bekloppt – gebe ich zu. Ist aber eine fantastische Methode, die Emotionen aus einer Diskussion heraus zu nehmen. Eigentlich mag ich meine alte Kollegin sehr gern, und es ist anders herum ja auch so. Wir wollten uns ja gar nicht streiten… irgendwie sind wir da reingeschlittert.
Ich verliess meine mentale Schmoll-Ecke und fragte sie, unvermittelt, was diese Uneinigkeit jetzt mit unserer Beziehung mache bei ihr.
Wir besannen uns, beide. Wir einigten uns, dass wir das Problem – unterschiedliche Meinung zum Thema Corona-Massnahmen – auslagern. Das ändert nichts an der Freundschaft. Hier in unserer freiheitlichen Kultur dürfen wir unterschiedlicher Meinung sein. Ihre Meinung hat ja nichts damit zu tun, dass ich sie als Person nicht schätze. Ich schätze sie ja gerade, weil sie eine Persönlichkeit ist, ihre eigenen Meinungen hat und die auch vertritt. Ich bin nicht anders.
Am Ende lachten wir über die Diskussion, die wir gehabt hatten. Über ein Problem, zu dem es DIE optimale Lösung womöglich gar nicht gibt. Jetzt können wir uns gegenseitig sogar aufziehen mit unseren verschiedenen Meinungen, denn das Problem ist ausserhalb unserer Beziehung. Und wir freuen uns beide schon auf unseren nächsten Austausch. Jetzt noch umso mehr, da wir nun auch mal heiss diskutieren können, wissend, dass wir schlimmstenfalls am Ende sagen: we agree to disagree 😊